Hildegard Wehner

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Interview mit Frau Hildegard WEHNER (Jahrgang 1923)

Das Interview wurde von Schülerinnen und Schülern des Rhön-Gymnasiums am 1. März 2013 geführt und anschließend transkribiert. Im Oktober 2014 wurde es von Frau Wehner vor der Veröffentlichung auf dieser Homepage korrigiert

Frage: Haben Sie Erinnerungen an die Juden vor 1933?

WEHNER: Ja, natürlich, wir haben ja mit den Judenkindern gespielt, zum Beispiel mit
den drei Mädchen von den Friedmanns. Die Älteste war Margot, dann Gertrud und dann noch Ruth. Die Irmgard Kupfersberger, heutige Frau Sanin und ich, wir sind gleich alt. Der Vater Kupfersberger war Schneidermeister und hatte am Marktplatz eine Schneiderei. In diesem Haus ist jetzt das Orthopädie-Geschäft Hörnlein, früher Süßwaren Gerhard.
Die Schneiderei und Wohnung war im 2. Stock und im 1. Stock hat die Familie
Friedmann gewohnt, und da haben wir natürlich zusammen gespielt. Die Friedmanns hatten ein kleines Schuhgeschäft in der Hohnstraße, dort wo später der Schuh-Pecht sein Geschäft hatte, zwischen jetzt Sparkasse und Schreibwaren-Guck. Eines Tages hieß es plötzlich, dass wir nicht mehr mit denen sprechen dürfen, das war so um 1933, 1934 herum. Da wurden die Juden dann schon etwas auf die Seite geschoben.
Die Friedmann-Mädchen sind dann – ich glaube im Juni 1936 - nach England gebracht worden. Aber nur die Mädchen, die Eltern sind hiergeblieben.

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jüdische Schule. 1937-8
Klicken Sie, um die Kinder zu identifizieren


Frage: Direkt nach der „Reichskristallnacht“? Hatten Sie da noch Kontakt?

WEHNER: Nein, ich bin dann 1937 in das Internat nach Würzburg gekommen.

Frage: Wissen Sie noch etwas über die Jüdische Schule?

WEHNER: Sie hatten eine normale Schule, unten links in der Storchengasse kurz vor der Bauerngasse.
Ein Haus vorher hat der Judendoktor gewohnt, der Dr. Guggenheimer. Er war noch sehr lange Zeit in seiner Praxis, um den ärmeren Juden zu helfen, die nicht weg gekommen sind. Er ist gerade noch ganz zum Schluss irgendwie aus dem Land geschmuggelt worden.
Der Dr. Guggenheimer hat mich übrigens auch einmal operiert, als der Dr. Schmitt,
unser Hausarzt, nicht da war. Ich hatte irgendein Geschwür neben dem Nabel, das hat geeitert. Da war ich noch ein Kind, lag auf dem Bett meiner Eltern und dann ist er
gekommen. Weil ich ihn nicht kannte und wie am Spieß geschrien habe, bin ich betäubt worden. Er hat mich dann operiert, ganz sauber und ordentlich und ist danach noch ein paar Mal zum Nachschauen gekommen. Danach kam dann der Dr. Rudolf Schmitt wieder. Der hat mich in unserem Haus übrigens auch zur Welt gebracht.

Frage: Haben Sie noch andere Erinnerungen an Dr. Guggenheimer?

Guggenheimer

Dr. Guggenheimer

WEHNER: Ja. Der war immer zur Stelle, wenn jemand nach ihm gerufen hat. Er ist
auch oft zu „arischen“ Leuten gegangen. Er war ein sehr ruhiger Mann, nie auffällig.
Ein sehr guter Arzt, muss ich sagen, auch menschlich sehr in Ordnung.
Außer dem Dr. Guggenheimer als Juden gab es ja damals in der Stadt nur noch den
Dr. Schmitt und den Dr. Grosch. Erst später kam dann noch der Dr. De l‘ Espine nach Neustadt.

Frage: Wurde Ihnen in der Schule das Bild des verhassten Juden eingetrichtert?

WEHNER: Vorher in der Schule war das noch nicht so gehässig. Ich war ja nur bis
1937 hier, danach bin ich ins Internat. Da war das alles noch nicht so aktuell. Es kam
dann erst mit der „Reichskristallnacht“ 1938, da ging das Verhasste erst los.
Es war auch früher schon immer mal an den Häusern der Juden gestanden, man soll bei denen nicht einkaufen.
Wir haben hier ja sehr viele Jüdische Geschäfte gehabt. Da war zum Beispiel der
„Obere Sichel“, dessen Inhaber hieß Nussbaum. Das Haus war am unteren Marktplatz, an der Ecke Zwiebelgasse, neben dem Schmuckgeschäft Witzel. Später war da die Sparkasse und danach das Kaufhaus Pecht. Das war ein sehr gutes Wäschegeschäft, mit besonderer Qualität. Da wurde viel Aussteuer gekauft, damals.
Dann hat es den „Unteren Sichel“ gegeben, dort wo der Schewa bzw. heute der Wöhrl ist.
Und dann gab es das Kaufhaus Klein in der Hohnstraße. Dort war bis vor kurzem die
Hohntorapotheke.
Und wo jetzt der Friseur Blümm ist, im Haus Appl/Wagner in der Storchengasse/ Ecke Spitalgasse war ein Judenhaus, das Sternshaus. Dort wohnte ein anderer Klein. Seine beiden Beine waren gelähmt und er saß im Rollstuhl. Er hatte bis zu seiner Verletzung im 1. Weltkrieg gekämpft und war sogar mit dem E-Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet worden. Er war damals sehr geachtet und geehrt, aber plötzlich war dann das alles aus. Das war dann ein ganz armer Teufel und die Familie musste damals viel erleiden.

Sichel

Lokalzeitung 1929


Frage: Ist die Familie Klein, von der Sie geredet haben, die Familie, die jetzt immer
wieder kommt? Von denen die Kinder nach England gerettet wurden?


WEHNER: Nein. Diese Kleins, die kamen damals, wenn ich recht weiß, aus Unsleben. Es gab ja so viele mit diesem Namen. Diese Familie wurde einfach im Haus der anderen Kleins einquartiert, das war und ist ja ein sehr großes Gebäude. Die wurden da einfach ein bisschen zusammen getrieben. Sie mussten ihre Häuser ja so einer nach dem anderen abgeben, später wurde auch enteignet.
Ich weiß z.B. von den Friedmanns vom Marktplatz. Die Kinder waren ja schon in England und jetzt sollte er sein Haus abgeben. Der Herr Kupfersberger war ja nur ein Schneidermeister und konnte das Geld für einen Kauf nicht so einfach aufbringen. So hat dann seine Frau ihr Elternhaus in Mellrichstadt, wo ihre Mutter wohnte, verkauft und die Mutter nach Neustadt geholt. So konnte sie dem Friedmann das Geld für das Haus geben und der Friedmann konnte mit seiner Frau ausreisen. Ein Teil des Geldes wurde ihnen aber von der Partei abgenommen.
Später kamen dann die Friedmann-Nachfahren und erkundigten sich nach dem Verbleib des Hauses, obwohl der Vater vorher es ja selbst an den Schneider Kupfersberger verkauft hatte.

klein


Frage: Und wo war das Haus jetzt?

WEHNER: Das ist da oben, gleich am oberen Marktplatz, wo jetzt das Sanitätshaus
Hörnlein ist. Die Kupfersbergers haben im 2. Stock gewohnt.
Gleich daneben war ein Metzger und dann kam das Vollshaus, später der Kohlen Voll, und jetzt sind die beiden zusammen der Müller-Drogeriemarkt.
Oben am Eck zur Kellereigasse, früher Fa. Kuhn, heute Metzgerei Jeger, war damals der Dannenbaum. Der war ein großer Viehhändler. Er hat Vieh aufgekauft und hatte einen großen Stall in der Gasse und mehrere Knechte. Weil erst am Montag geschlachtet wurde, musste das Vieh am Wochenende gemolken werden, und der Dannenbaum hat dann die Milch verkauft. Ich musste immer mit unserem Lehrling dort hin, weil ich die Milch nicht alleine tragen konnte, aber ich musste ihm immer das Geld geben. Ich habe mich immer ein bisschen gefürchtet, weil er so lange Fingernägel hatte und er so komisch nach dem Geld gelangt hat, mit seinen langen Fingernägeln. Das sind so Erinnerungen an damals.
Weiter oben in der Schuhmarktstraße war dann der Weinstock. Das war an der Ecke zur kleinen Bauerngasse, gehört heute zur Villschen Altenstiftung, gleich gegenüber der Badeanstalt Müller, dem jetzigen Ärztehaus Zeißner. Der war auch Viehhändler und ist noch sehr lange dageblieben. Auch als seine Kinder, er hatte zwei Söhne und eine Tochter, schon länger ausgereist waren, war er immer noch da, weil er von Bauern noch Geld bekommen sollte. Vor lauter Habgier hat er die Gefahr verkannt und den Absprung verpasst.
Das Sternshaus in der Storchengasse hatten wir schon (jetzt Appl) und den
Dr. Guggenheimer (das jetzige Anwesen der Frau Zeißner) und die Judenschule auch.
Dann war da noch die Synagoge. Eigentlich sollte sie in der „Reichskristallnacht“
abgerissen werden, habe ich gehört. Aber dann hat der Kreisleiter Ingebrandt gesagt, da machen wir ein Getreidelager draus, und durch das Lagerhaus ist das Gebäude eigentlich gerettet worden. Da hat er wohl nachgedacht und gemeint, das können wir ein bisschen brauchen.
Komischerweise hat es in der Judengasse, der heutigen Apothekengasse, fast keine
Juden gegeben. In dem heutigen Ärzte- und Wohnhaus Zeißner war ein jüdisches
Schuhhaus. Sein Name war Platt. Sie hatten keine Kinder. Das ist der einzige Jude, von dem ich weiß dass er in der Judengasse gewohnt hat.
(….)

WEHNER: Wenn Ihr bei der Rhön- und Saalepost schaut, da gibt es doch jetzt die
(Jubiläums-)Zeitung. Ich habe da zufällig eine da. Da sind z.B. Anzeigen vom
Friedmann, der Schuhe verkauft hat. In der Hohnstraße hat er ein kleines
Geschäft gehabt, das kleine Haus neben der Sparkasse, danach Schuh-Pecht. Da
war der Friedmann drin, im Schuh-Pecht.
Und dann war am Marktplatz neben dem Sebastian Schmitt ein Doppelhaus. In der
schmäleren Hälfte davon haben die Weinstock gewohnt. Das waren zwei ältere Damen, die Hüte und Mützen verkauft haben. Bei denen gab es kein elektrisches Licht. Die sind immer im Haus mit Stearin-Kerzen herumgerannt. Einmal haben sie den Vorhang erwischt und es hat gebrannt. Heute ist das ein Haus, die frühere HypoBank, jetzt Gaststätte La Cucina.



Frage: Und wo war der „Obere Sichel“?

WEHNER: Der „Obere Sichel“ hieß Nussbaum. Er hatte ein gutes Wäschegeschäft
Aber den hatten wir am Anfang schon einmal. Sein Geschäft war am unteren Marktplatz neben dem Schmuck Witzel.

(Wehner schaut sich Buch über Bad Neustadt an).

Frage: Haben Sie etwas mitbekommen vom „Spießrutenlauf“, bei dem die Kinder
den Juden nachgejohlt haben sollen, als sie zum Bahnhof gebracht wurden?


WEHNER: Durch das Fenster von unserer Eingangstüre am Marktplatz haben wir das gesehen.
(Zur Erläuterung: Zu bestimmten Jahreszeiten war der Zugang zum Gasthaus über
den Seiteneingang in der Storchengasse. Die Fronttüre war dann verschlossen.)
Die waren arm dran. Es gab da einen Ottensoser, der wohnte in der Kellereigasse in einem ganz kleinen Haus vor dem ehem. Geschäft Möller. Heute gehört das auch zur Villschen Altenstiftung.
Das waren so kleinere Leute, die hatten ein Kind, das eine Herzkrankheit hatte. Es hatte immer blaue Fingernägel, es hat mir immer so leid getan.
Damals bei der Vertreibung saß es bei uns auf der Eingangstreppe. Es hatte einen
Rucksack auf. Dann sind alle zusammen getrieben worden. Jeder hatte einen Koffer in der Hand. Dann sind sie raus aus der Stadt getrieben worden. Da hat es soundso viele gegeben, die unter Jubel da mitgelaufen sind und sie beschimpft haben.

Frage: Und stimmt das, dass die Kinder nicht wussten, wieso sie jubeln mussten?

WEHNER: Das weiß ich nicht. Ich war da ja schon viel älter. Ich war bei meiner Mutter, und die hat nur mit dem Kopf geschüttelt.
Da kann ich auch soweit noch ein Stück dazu sagen, in der Zeit, in der es nichts
gegeben hat, in der die Juden so armselig dran waren, da kamen immer welche, die
Hunger gehabt haben. Da hat meine Mama gesagt, dass sie Abends, wenn es dunkel ist, noch einmal kommen sollen. Dann hat sie das Brot, das sie über hatte, hinter das Tor gelegt. Und als es dunkel wurde, hat meine Mutter rausgeschaut und dann ist eine ganze Reihe Juden gekommen. Dann hat sie gesagt: „Um Gottes Willen, das dürft ihr nicht machen, ich gebe euch, was ich noch habe. Das gebe ich euch gerne, aber das nächste Mal kommt nur einer, höchstens zwei, die das mitnehmen. Damit es nicht so auffällt, sonst bin ich dran.“ Und am nächsten Tag kam nur einer und meine Mutter sagte: „Ihr müsst das unter euch verteilen, wer es am Nötigsten hat.“
Meine Mutter hat viel gemacht. Weil das ja alles Kunden von früher waren aus unserer Bäckerei. Da hat es immer etwas gegeben, ein Gebäck, das hieß „Berches“, das war Weißbrot, und oben drauf war ein Zopf geflochten, und das war mit Mohn vollgestreut.
Warum das „Berches“ hieß, weiß ich nicht mehr, aber das haben die Juden jeden
Samstag bekommen. Ich sag ja, wir haben viele Juden als Kunden gehabt, das kann
man nicht abstreiten. Wieso sollte man das auch, wir waren ja froh, wenn wir ein Geschäft gemacht haben.
(….)

Frage: Und Sie haben auch Leute gekannt, die Juden geholfen haben, außer Ihrer
Mutter?


WEHNER: Haben sehr viele. Ja, da wo die Juden gewohnt haben. Wenn sie nicht
gerade Streit hatten, wie bei den Kupfersbergers. Die haben mit denen zum Schluss
noch Brot und Butter und alles geteilt, was sie gehabt haben. Die haben ja Hunger
gehabt, die Leute.
Die Juden hatten am Wochenende immer ihre besonderen Tage, die Sabbat-Tage
Bei den Friedmanns haben sie immer alles dafür vorbereitet. Wir sind dann immer runter in den ersten Stock, aber nur zu zweit, die Irmgard und ich. Das war für uns interessant. Wir mussten dann Feuer im Ofen machen, nur das Streichholz hinhalten, damit der Ofen angeht. Und das Licht einschalten. Alles andere war vorbereitet. Wir haben für sie diese „Schaber“ gemacht, diese unreinen Arbeiten. Im Zimmer waren viele Juden gesessen und hatten ihre Hüte auf.

Henneberger: Ja, weil sie am Sabbat nicht arbeiten dürfen. Also auch kein Licht
anmachen und kein Feuer machen. Das musste jemand anderes machen.
Karl Wehner (Sohn von Hildegard Wehner): Da gibt es auch ein Beispiel in München, das neue Judenzentrum. Die neue Synagoge, da hinter dem Viktualienmarkt. Da ist ein koscheres Restaurant drinnen, da kann man sich informieren, wie das ging. Da darf der Koch, der die Speisen zubereitet, den Herd nicht anmachen. Das ist eine unreine Arbeit, die muss jemand anderes machen. Alle Beilagen werden in einer extra Küche nebenan zubereitet.
(….)

WEHNER: Das war bei den Friedmanns genauso. Die haben zwei Tische gehabt,
der eine war „koscher“ und der andere war „trever“, so haben sie das genannt. Und auf den einen Tisch durften nur koschere Sachen drauf. Koscher war in diesem Moment, wenn zum Beispiel Tiere sich ausbluten mussten. So sind die Gänse geschlachtet worden, „Schächten“ hieß das. Das war der Glaube, die sind halt geschächtet worden.
Und der Friedmanns -Jude, der war anscheinend besonders fromm. Bei dem sind
immer so viele zusammen gekommen, die haben dort richtige Zusammenkünfte gehabt.
Oder das, wie hieß das noch mal, das Laubhüttenfest kurz vor Ostern. (Anmerkung: Das Laubhüttenfest ist im Herbst.) Es hat also auch ein Laubhüttenfest gegeben. Das hat der hinten bei sich im Hof gehabt. Das sind so Erinnerungen.

Frage: Das hat man alles gekannt, oder?

WEHNER: Ja, weil man das ja gesehen hat. Und bei dem Kupfersberger bin
ich auch ein- und ausgegangen. Wir Kinder waren ja befreundet.

Frage: Sind Sie mal in so eine Laubhütte gegangen?

WEHNER: Nein, nein, um Gottes willen nein. Das war für uns immer tabu. Das
hat es nicht gegeben. Wir durften nur dahin, wo sie es auch gewollt haben, wie zum
Beispiel in den einen Raum, in dem man die Schalter angedreht oder Feuer gemacht
hat. Das ja, aber sonst nein. Das hat es nicht gegeben. Da hat man nichts
mitbekommen.

Frage: Und waren Sie auch einmal in einer Synagoge?
aner näher gekommen sind, haben die von der Gestapo
ihr Büro geräumt und die ganzen Akten und Papiere immer am Nachmittag in
unserem Backofen verbrannt. Dieser Ofen wurde damals noch mit Holz und Kohle geschürt, und die Bäcker mussten aus der Bäckerei verschwinden, so konnten sie alles vernichten. Es sollte niemand sehen, was sie genau machen.
Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner sind sie dann aus unserem Haus
verschwunden, das war unmittelbar, bevor die Brücken gesprengt worden sind.
Als es dann hieß, die Amerikaner kommen in die Stadt, bin ich schnell nach oben in
diese Büros. Da waren noch überall die Bilder vom Hitler und Himmler an der Wand
gehängt. Die habe ich schnell abgenommen und sie auf dem Dachboden unter dem
Zinnkraut versteckt, ich wusste sonst nicht, wohin damit. Wir hatten immer Zinnkraut dort oben gelagert, um damit die Zinndeckel der Bierkrüge zu putzen. Das habe ich dann schnell über die Bilder und Fotos geworfen und bin wieder runter.
Wie dann die Amerikaner kamen, wussten sie seltsamerweise sofort, dass dieses
Gestapo-Büro in unserem Haus gewesen ist. Woher, kann ich nicht sagen. Aber als
unser Haus durchsucht worden ist, haben sie nichts davon gefunden. Zunächst sollten wir unser Haus verlassen, hatten dann aber Glück, dass wir mit unserer
Bäckerei für die Versorgung der Zivilbevölkerung gebraucht worden sind. So war das in dieser Zeit.

Frage: Der Pfarrer Friedrich war dann kein Pfarrer mehr zum Schluss?

WEHNER: Der Pfarrer Friedrich war Ehrenbürger von Neustadt gewesen. Man hat ihm dann sofort die Ehrenbürgerschaft abgesprochen. Er hat in der Kirche bei der Predigt ja auch immer gleich von der Kanzel herunter geschimpft, wenn etwas geschehen war. Damals mussten doch die Kreuze aus den Schulen und den öffentlichen Gebäuden verschwinden, und da hat er sich furchtbar darüber aufgeregt.
„So geht das nicht, das ist das Letzte“ hat er gesagt. Und der Kreisleiter Ingebrandt war mit seiner Frau in der Kirche gestanden und die beiden haben sich bumskrach
umgedreht und sind aus der Kirche heraus gelaufen.
Der Pfarrer wurde auch einmal tüchtig verprügelt, als er noch im Amt war, schwer
zusammengeschlagen von den Nazis. Sie haben ihm aufgelauert und haben ihn dann schwer zusammengeschlagen nach so einer Predigt. Aber am nächsten Tag ist er schon wieder auf die Kanzel und hat weiter geschimpft. Er war halt so.

Frage: Was wusste man hier so von Konzentrationslagern?

WEHNER: Da hieß es bloß: „Wenn du nicht ruhig bist, kommst du nach Dachau.“
Das war ein geflügeltes Wort: Sei vorsichtig, erzähle nicht so ein Zeug. Wenn du nicht ruhig bist, kommst du nach Dachau. Und wer in Dachau war und dann zurück kam, aus dem hast du nie ein Wort heraus gebracht, solange er gelebt hat.

Frage: Aber man wusste schon, dass die ganzen Juden in diesem KZ waren?

WEHNER: Das wussten wir nicht, das hat man angenommen. Dass die Juden
zusammengetrieben wurden und abtransportiert wurden, irgendwohin, das war
allgemein bekannt.

Frage: Hatten Sie persönlichen Kontakt zu Nazis?

WEHNER: Ich kann Ihnen da nicht so viel erzählen. Die Nazis haben ihre
Treffen gehabt und ihre Parteiversammlungen gehalten. Mein Vater war bei denen
nicht so gut angesehen. Ich weiß, er hat einmal eine Äußerung gemacht, weswegen
er beinahe in ein KZ gekommen wäre. Er hatte in einem gewissen Rahmen gesagt:
„Leute, wer sich vergreift an Weihrauch und Knoblauch, der geht unter.“ Und wisst
Ihr was das hieß? Weihrauch - die Kirche, und Knoblauch - die Juden. Das war eine versteckte Andeutung.
Daraufhin hat ihn Gott sei Dank ein Freund gewarnt und hat gesagt: „Karl, du stehst
auf der Liste! Seh zu, dass Du verschwindest, die kommen und holen dich ab!“
Sie sind auch wirklich gekommen und haben nach meinem Vater gesucht, aber er
war schon in der Nacht nach Bad Kissingen entwischt und hat sich dort freiwillig zum
Militär gemeldet. Er war ja im 1. Weltkrieg schon Offizier mit hoher Auszeichnung gewesen, Eisernes Kreuz 1. Klasse, und da er sich freiwillig gemeldet hat, wurde er gerne genommen und ist dadurch seinen Häschern entwischt.

Frage: Welche Stellung hatten die Juden im 2, Weltkrieg?

WEHNER: Überhaupt keine. Im 2. Weltkrieg waren die meisten ja schon weg.
Die, die es konnten, waren da schon unterwegs, die sind alle verschwunden gewesen, hatten sich außerhalb Deutschlands in Sicherheit gebracht. Wenn man bedenkt, dass der Krieg 1939 angefangen hat. 1942 sind die Juden ja hier schon heraus getrieben worden. Es waren nur die Ärmsten der Armen, die wirklich nicht weg konnten.

Frage: Und Ihr Vater war dann auch noch im Krieg?

WEHNER: Ja, der ist, nachdem er sich freiwillig gemeldet hatte, abkommandiert
worden. Aber nicht lange, dann wurde er zurück nach Hause versetzt. Er war als Leiter der „Fernbereitschaft Fränkische Saale“ der Freiwilligen Feuerwehren
aus den Landkreisen Bad Kissingen, Mellrichstadt und Bad Neustadt bei Einsätzen nach Bombenangriffen auf die Städte Schweinfurt, Würzburg und Nürnberg eingesetzt.
Nach den immer schwerer werdenden Angriffen wurden sie alarmiert, dabei hat es
mehrere Schwerverletzte und auch zwei Tote bei Einsätzen in Nürnberg gegeben.
Auch bei dem furchtbaren Angriff und der Zerstörung Würzburgs war er mit seinen
Männern und Fahrzeugen der Fernbereitschaft Fränkische Saale eingesetzt.

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Synagogue


WEHNER: Nein, nie. Ich weiß halt, als die Synagoge damals geräumt wurde,
hat der Pfarrer Friedrich diese Tora-Rollen, die jüdischen Rollen, alle hier in der Kirche aufgenommen.
Der Pfarrer Friedrich war ja mit uns weitläufig verwandt. Von meiner Mutter von
Königshofen her. Und dadurch haben wir den Pfarrer Friedrich dann auch noch einmal gesehen, als er tot war. Den haben sie böse zugerichtet, den hatten sie gegeißelt. Meine Mutter und ich waren damals draußen in seinem Haus. Nur die Hände und das Gesicht waren normal. Aber alles andere, die Beine, der Körper und alles waren blitzeblau geschlagen.

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Torah von der Synagoge


Frage: Und wissen Sie mehr über dessen Tod?

WEHNER: Da wo früher der Schmalhofer war, ganz unten in der Hohnstraße,
heute ist das das Hotel Schwan und Post, vielleicht kennen Sie sich da ein bisschen
aus mit dem Schmalhofer? Der Vorgänger vom Schmalhofer hieß Vollmut, und die Vollmuts haben keine Kinder gehabt. Da hat der alte Vollmut mit dem Pfarrer Friedrich ein Haus gebaut, damals. Der eine hat die eine Hälfte und der andere die andere Hälfte gebaut. Und der Pfarrer Friedrich hat mit seiner Lene, das war so eine kleine alte Frau, da draußen gewohnt. (Anmerkung: in der Hedwig-Fichtel-Straße).
Dann wurden Leute aus Schweinfurt bei ihm einquartiert. Diese Leute wollten unbedingt sein größeres Zimmer haben, er hatte aber nur ein großes Zimmer, sein Studierzimmer, in dem er seine Bücher und alles hatte. Da hat er auch sein Bett und alles drinnen gehabt. Nur die Lene hatte ein kleines Zimmerchen. Aber die aus Schweinfurt Gekommenen wollten unbedingt in das große Zimmer.
Jetzt hat der Pfarrer Friedrich, das muss ich allerdings zugeben, jede Nacht heimlich
Radio Vatikan, Rom, gehört. Mitten in der Nacht hat er das Radio angemacht und wollte wissen, was dort gesprochen wurde. Und das haben sie zum Anlass genommen, und es hieß, dass er „Fremdsender“ hört. Sie haben damit einen Grund gehabt, ihn zu verhaften und nach Würzburg zu transportieren, in die Ottostraße.
Die war bekannt, das war ein Gefängnis. Dort musste er seine letzten Wochen
verbringen. Als er dann gestorben war, durfte man ihn nicht in der Kirche aufbahren, was früher bei Priestern so üblich war. Das hat damals der Lehrer Endres, der war bei der Gestapo, veranlasst. Die Leiche vom Pfarrer Friedrich wurde dann in seinem Haus aufgebahrt, dort haben wir sie gesehen, weil wir ja mit ihm verwandt waren.
Und wir mussten besonders aufpassen, weil der Endres bei uns im Haus das Gestapo-Büro gehabt hat.
Bei uns waren ja damals viele Zimmer belegt, aber du hast nie gewusst wer sich da
drinnen aufhält und wer zur Gestapo dazugehört hat. Bei uns im 1. Stock war nur der Zahnarzt Hugo Hanshans. Wenn Leute unten in unser Haus gegangen sind, hat man nicht gewusst, gehen die zum Zahnarzt oder in den 2. Stock, wo ja auch die Gestapo Ihr Büro gehabt hat.
Dazu haben die einfach unsere Wohnung beschlagnahmt, die wir eigentlich an eine Familie mit sechs Kindern vermietet hatten. Diese Familie wurde einfach von der Gestapo ausquartiert. Die waren einfach scharf auf diese Wohnung, weil durch den vielen Personenverkehr niemand sagen konnte, in welches Zimmer oder in welchem Stock der Betreffende verschwunden ist.
Als dann später die Amerik